Der richtige Umgang mit dominanten Mitmenschen
„Mama, das gefällt mir nicht…das weißt du doch!“ sagt Ella genervt zu ihrer Mutter Doris, als sie zum x-ten Male ein damenhaftes Kleidungsstück geschenkt bekommt.
Ihr Kleidungsstil ist unübersehbar sportlich; Jeans und Sneaker dürfen bei ihren Outfits nie fehlen. „Die Verkäuferin hat aber gesagt, dass das modern ist, und außerdem tragen das viele Leute.“ antwortet Doris. Für sie ist das Thema damit erledigt. Sie wollte ja schließlich nur etwas Nettes für Ella tun.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Ella etwas verwöhnt ist oder zumindest, dass sie eine nette Geste nicht wertschätzt. Auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung aber zeigt sich da ein ganz anderes Bild: Ella weiß, dass Doris sie gerne in einer eleganteren Kleidung samt Pumps sehen würde.
Doris findet nämlich, dass Ella sich jetzt mit ihren 27 Jahren durchaus ihrer Meinung nach angemessener kleiden könnte. Direkt sagt sie ihr das allerdings nicht, denn sie weiß genau, wie Ella darauf reagieren würde. Und zwar mit einem klaren „Ich mag das nicht. Das ist meine Sache!“.
Obwohl sie Ellas Standpunkt kennt, kann Doris das so nicht akzeptieren. Schließlich weiß sie genau, was richtig und was falsch ist. Also hat sie seit geraumer Zeit begonnen, ihr Geschenke zu machen, die sie in die gewünschte Richtung drängen sollen—die Wünsche und Entscheidungen ihrer Tochter vollkommen ignorierend.
Naturgemäß macht das Ella wütend. Sie fühlt sich einerseits von ihrer Mutter kritisiert und andererseits in ihren Entscheidungen als erwachsene Person nicht respektiert. Wenn sie aber versucht, diesen Umstand anzusprechen oder auch mal genervt darauf reagiert, kommt prompt ein schlechtes Gewissen in ihr hoch. Mutter Doris meint es nach eigener Aussage ja schließlich nur gut mit ihr. Sie solle nicht so undankbar sein, schließlich ist es ja ein Geschenk.
Spiele dein Lied, aber zwinge die Melodie nicht der übrigen Menschheit auf.
(unbekannt)
Ob Eltern, Freunde, Arbeitskollegen oder der Vorgesetzte – jeder kennt in seinem Umfeld mindestens eine Person, die stark bestimmend ist und fast alles dafür tut, um zu dem zu kommen, was sie will. Dabei sieht sie nur ihre Anliegen und Bedürfnisse und nimmt kaum Rücksicht auf jene der anderen Personen.
Dieses manipulative Verhalten führt immer wieder zu Spannungen. Wir alle bevorzugen es schließlich, uns auf Augenhöhe zu begegnen und nicht von oben herab. Die Folge sind Konflikte und manchmal auch Machtspiele untereinander.
So wie Ella geht es öfters Menschen, die im Kontakt zu dominanten Personen stehen. Sie fühlen sich einer paradoxen Situation ausgesetzt: Sie haben das Gefühl, dass sie, egal wie sie sich verhalten, draufzahlen werden.
Wenn Ella das Geschenk dankend annimmt, untergräbt sie ihren eigenen Standpunkt und gibt den Interessen von Doris gegenüber den eigenen den Vorrang. Das führt unweigerlich zu starkem Ärger. Aber wenn sie sich so wie im obigen Beispiel dagegen wehrt, wird sie in die Position der undankbaren Tochter gedrängt. Also was tun?
1 Erkenne die Situation
Als erstes gilt es, die Situation richtig einzuordnen und den Manipulationsversuch überhaupt zu erkennen. Dabei hilft es, sich im Vorfeld typische Warnsignale zu überlegen. Ella z.B. kann solche Situationen daran festmachen, dass sie in einer vermeintlich neutralen Situation den Impuls verspürt, sich vor ihrer Mutter rechtfertigen zu müssen. Oder auch an dem typischen schlechten Gewissen.
2 Grenze dich ab
Erst dann ist der nächste Schritt möglich: die klare Abgrenzung. Hierfür ruft sich Ella zuerst nochmal ins Gedächtnis, dass es ihrem Gegenüber nur um die Durchsetzung der eigenen Ziele geht. Dann spricht sie diesen Umstand direkt an. Sie legt den Manipulationsversuch von Doris auf eine freundliche Art und Weise offen, indem sie das Bedürfnis von Doris anspricht und auch ernst nimmt. Sie könnte z.B. sagen: „Ich sehe, dass du einen anderen Kleidungsstil an mir bevorzugen würdest. Dir gefällt eine elegante Kleidung, und das ist auch ok.“
3 Positioniere dich
Gleichzeitig sollen die eigenen Bedürfnisse geäußert werden samt dem Hinweis, dass diese uns wichtig sind. Es geht hier nicht darum, in eine Diskussion zu verfallen, wer im Recht ist. Das hilft nicht. Vielmehr soll der eigene Standpunkt klar und bestimmt ausgedrückt werden: „Mir gefällt im Gegensatz dazu ein sportlicher Kleidungsstil. Es ist mir wichtig, mich in meiner Kleidung wohl zu fühlen. Ich möchte meinen Stil deshalb auch nicht ändern.“
4 Bleibe konsequent
Vermutlich wird Doris trotzdem noch einige Male versuchen, Ella ihren Willen aufzuzwingen. Doris wird für ihr Ziel kämpfen. Jetzt muss Ella standhaft bleiben. Sie darf nicht aufhören, ihr eigenes Interesse zu verfolgen. Sie muss deshalb lernen, den Groll, der ihr vermutlich entgegenkommen wird, auszuhalten. Ansonsten wird sie aus der unterlegenen Position nicht herauskommen.
Mit der Zeit und der Übung wird so unser größtes Hindernis – das schlechte Gewissen – immer weniger. Und wir lernen, mit Gelassenheit und Selbstsicherheit unsere dominanten Mitmenschen zu Händeln.
JM
Das ist ein so wunderbarer Beitrag, vielen Dank dafür. Ich fühle mich zu 100 % abgeholt, aber auch bestätigt, denn genau so gehe ich mit dieser Art von Verhalten um. Zu bemerken ist allerdings, dass Dominanz in der Arbeitswelt noch sehr vorherrschend und verbreitet ist, insbesondere in bestimmten Branchen. Daher tut es mir gut, diesen Artikel zu kennen und gewiss zu sein, dass ich richtig bin wie ich bin.