4 Wege, deine Perfektionsansprüche zu zähmen
„Es könnte noch besser sein…“ dachte sich Studentin Julia, als sie ihre Seminararbeit nach intensivem Bemühen fertig geschrieben hatte. Eigentlich hatte sie keine Zeit mehr. Das Gefühl der Unzufriedenheit brachte sie dennoch dazu, nochmals zwei Stunden in die Verbesserung der Arbeit zu stecken. Wieder einmal musste das Vorhaben, das Yogatraining zu besuchen, dran glauben. Immer wieder befand sie sich in ähnlichen Situationen. Und das rächte sich nach einer Weile, indem Julia wie aus dem Nichts plötzlich eine Panikattacke erlebte.
Diese Unzufriedenheit von Julia, an der ihr Perfektionismus erkennbar wird, kennen viele von uns. Egal, ob wir eine Präsentation gut über die Bühne bringen und uns dennoch denken: „Dieser Versprecher am Anfang geht gar nicht, das muss fehlerfrei gehen!“. Oder ob wir bei unserer Partnersuche eine neue Bekanntschaft machen und wir sofort das Interesse verlieren, weil sie nicht haargenau unserer Vorstellung entspricht. Oder aber ob wir die gesamte Wohnung penibel putzen und am Ende statt zufrieden zu sein sofort an den Keller denken, der ja auch so dringend ausgeräumt werden muss. Es ist einfach nie genug—und vor allem ist es nie gut genug.
Neben dieser Unzufriedenheit gibt es noch einige weitere Signale, die uns auf einen möglichen Perfektionismus hinweisen können. Zum Beispiel wenn sich andere Menschen in deiner Gegenwart nervös fühlen, weil sie fürchten, die hohen Erwartungen, die du an sie hast, nicht erfüllen zu können. Oder wenn du das Gefühl hast, nie genug Zeit zu haben. Auch dann sollten die Perfektionismus–Alarmglocken läuten.
„Die kürzeste Definition von Perfektion lautet Illusion.“ (Özsoy Öztürk)
Was einen Perfektionisten eigentlich kennzeichnet, sind seine exzessiven und rigiden Ziele, und zwar nicht nur in Bezug auf die eigenen Leistungen und die eigene Person. Diese überhöhten Standards zeigen sich manchmal auch in den vermeintlichen Erwartungen anderer: Manche Perfektionisten glauben zum Beispiel, dass das Umfeld extrem hohe Erwartungen an sie hat und dass, sollten sie diese nicht erfüllen, unverhältnismäßig negative Konsequenzen drohen.
Nun ist eine hohe Erwartungshaltung an sich nicht notwendigerweise negativ. Der Anspruch, sich ständig verbessern zu wollen oder das Streben nach Höchstleistungen kann uns zu außergewöhnlichen Leistungen anspornen. Was sich allerdings sehr wohl negativ auswirkt, sind einerseits damit einhergehende Selbstvorwürfe und andererseits auch die Angst, eigenen Erwartungen oder jenen der anderen nicht entsprechen zu können.
Diese Angst macht uns immer dann anfällig für Stress, wenn ein Misserfolg oder ein Fehler auftreten könnte. Indem wir versuchen, alles so perfekt wie möglich zu machen, versuchen wir genau diese Situationen zu vermeiden. Wenn wir dann auch noch bei jeder beliebigen beruflichen Aufgabe oder privaten Aktivität gleich perfektionistisch vorgehen, führt das wohl oder übel zur Selbstüberforderung.
Vielleicht hast du schon erkannt, dass dir dein Perfektionismus in manchen Situationen eher schadet als hilft. Wie du der Perfektionismus–Falle konkret entkommen kannst, erfährst du jetzt:
1 Hinterfrage das Alles-oder-Nichts-Denken hinter deinem Perfektionismus
Überlege dir zuerst, welche Bereiche von einem perfektionistischen Leistungsanspruch betroffen sind: Ist es die Arbeit, der Haushalt, der Körper, die Schönheit, der Status? Anschließend mache dir klar, dass es nicht nur perfekt oder Misserfolg gibt. Dazwischen liegt ein großer Bereich. Du kannst etwas zu 80% gut machen, und es ist immer noch eine sehr gute Leistung. Und du kannst genauso stolz darauf sein.
2 Setze Prioritäten und begrenze deine Vorhaben
Wenn du das Gefühl hast, nie genug Zeit zu haben, um Begonnenes zu beenden, nimmst du dir schlichtweg zuviel vor. Überlege dir, was von deinen Vorhaben wirklich wichtig ist und damit Vorrang hat. Anschließend planst du die Zeit ein, die du dafür aufwenden möchtest bzw. kannst. Achtung: Halte dich auch an diese Zeiten. Widerstehe der Tendenz, die geplanten Zeiträume zu überziehen, weil das Ergebnis deiner Meinung nach noch besser sein könnte. Es kann immer besser sein. Unter Berücksichtigung deiner vorhandenen zeitlichen Kapazität ist es aber mit großer Wahrscheinlichkeit gut genug.
“Wer am wenigsten Zeit hat, sollte am meisten trainieren.“ (Altes Chinesisches Sprichwort)
3 Räume deiner Kreativität auch einen Platz ein
Statt den Großteil deiner Zeit damit zu verbringen, Ordnung zu bewahren, schaffe dir Möglichkeiten, dich kreativ zu betätigen. Lass das Listen führen, das Ordnen, Reinigungsarbeiten usw. nicht dein Leben dominieren und verschaffe dir mit kreativen Aktivitäten wie malen, schreiben o.ä. einen guten Ausgleich. Und achte darauf, dass du in deiner Freizeit nicht auch noch Aktivitäten verfolgst, die mit Leistung oder Wettbewerb verbunden sind. Gehe zum Beispiel joggen rein der Bewegung Willen und lass die Kilometeruhr einfach daheim.
4 Lerne, deine Erfolge zu genießen
Wenn du einen Erfolg verbuchst, egal in welcher Form, halte inne. Genieße das Gefühl, etwas geschafft zu haben statt dich sofort auf die nächste zu erledigende Aufgabe zu stürzen. Ob du es geschafft hast, die Wohnung zu putzen, eine Arbeitsaufgabe abzuschließen oder zum Fitnesstraining zu gehen, obwohl du keine Lust hattest—mache dir deinen Erfolg bewusst und spüre das damit einhergehende Gefühl der Zufriedenheit.
Am Ende geht es uns allen darum, an Lebensqualität zu gewinnen. Das tun wir, indem wir weniger Stress haben, gesund bleiben und auch Zeit für andere wichtige Dinge des Lebens haben. Und wie überall so auch beim Perfektionismus: die Dosis macht´s.
JM