Wenn negative Ereignisse zu gefühlten Katastrophen werden
Die Art, wie wir etwas bewerten, beeinflusst, wie wir uns fühlen und am Ende auch, wie wir uns verhalten. Manchmal haben einige von uns die Neigung, sich in verschiedensten Situationen eine Katastrophe jeglicher Art zu erwarten.
Als ob wir Wahrsager wären, sagen wir die Folgen eines Ereignisses vorher, das noch nicht einmal eingetreten ist. Und diese Folgen werden dann übertrieben negativ bewertet – wie ein nicht zu überstehendes Unglück.
„Ich werde den Job sicher nicht bekommen…das ist katastrophal, wenn ich abgelehnt werde!“ denkt sich Paul vor dem Bewerbungsgespräch.
„Wenn Thomas mich verlässt, werde ich nie wieder glücklich sein können!“ klagt Anne innerlich, als ihr Partner heute ihr gegenüber weniger aufmerksam als sonst ist.
„Ich habe das Fenster vielleicht offen gelassen, das ist ja furchtbar! Da steigt sicher jemand in die Wohnung rein!“ sagt Markus ängstlich zu seiner Frau und kann nicht mehr ruhig am Restauranttisch sitzen und den Abend genießen.
Angst und Niedergeschlagenheit breiten sich aus – ist ja auch verständlich: Wenn ich überzeugt wäre, dass ich diesen Job und auch andere Jobs nicht kriege und das mein Leben lang, würde mich das auch deprimieren.
Oder wenn ich befürchten würde, dass ich nie wieder einer Person begegnen werde, die für eine Beziehung mit mir in Frage kommt, und ich glauben würde, dass ich nur mit Thomas glücklich sein kann, allein sowieso nicht, würde ich mich auch ängstlich auf die Lauer legen.
Was macht denn diese Art des Denkens für uns so nachteilig? Wenn wir uns die Aussagen von Anne, Paul und Markus genauer ansehen, erkennen wir bei allen drei die mitschwingende Annahme, mit der erwarteten Katastrophe nicht fertig werden zu können.
Das Ergebnis sind Panikgefühle und Deprimiertheit und eine resignierende Haltung. Wir neigen dazu, von vornherein aufzugeben und uns hängen zu lassen. Statt zu versuchen, mit der Situation zurechtzukommen, beklagen wir uns lieber über die Ungerechtigkeit unseres „Schicksals“. Wir können ja eh nichts dagegen tun.
Diese Einstellung bringt uns also diesen riesengroßen Nachteil: Wir verhalten uns in einer herausfordernden Situation extrem passiv. Wir können sie ja schließlich laut unserer Überzeugung nicht beeinflussen, also versuchen wir es erst gar nicht.
Wir versinken in Selbstmitleid und blenden aus, was um uns herum alles geschieht. Und manchmal führt diese Passivität sogar dazu, dass sich unsere erwartete Katastrophe bewahrheitet, so wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Pauls deprimierte Stimmung beispielsweise kann nach außen hin leicht den Eindruck erwecken, er sei gar nicht so motiviert und interessiert für die Stelle.
Anne konzentriert sich hingegen so stark auf mögliche Zeichen von fehlender Aufmerksamkeit, dass sie die Momente der Zuwendung ihres Partners vollkommen übersieht und dieser sich mit der Zeit genervt zurückzieht.
Und Thomas ist so gestresst von der Vorstellung, er könne vergessen, Tür und Fenster abzuschließen, dass er regelmäßig zu spät zur Arbeit kommt und er aufgrund dessen Schwierigkeiten bekommt.
Im Gegensatz zu solchen Katastrophengedanken helfen uns angemessenere Bewertungen, mit herausfordernden Situationen zurechtzukommen und diese zu bewältigen.
Statt unsere Energie dafür zu verschwenden, über die Ungerechtigkeit des Schicksals zu jammern, setzen wir sie dafür ein, eine Lösung zu finden – in welche Richtung auch immer: Wenn ich die Situation als von mir aus veränderbar einschätze, überlege ich mir entsprechende Lösungsschritte. Wenn ich sie dagegen als unveränderbar wahrnehme, versuche ich, sie zu akzeptieren und mich gegebenenfalls neu zu orientieren.
Das bedeutet nicht, dass wir bei angemesseneren Bewertungen keine negativen Gefühle mehr haben. Aber die Qualität der negativen Gefühle wird eine andere sein. Anstelle von Deprimiertheit, Panik und Verzweiflung treten Gefühle von Trauer und vielleicht auch Angst auf, die beide im Gegensatz zu ersteren nicht lähmend sind. Wir bleiben mit ihnen weiterhin handlungsfähig.
Ein nebliger Morgen ist noch kein wolkiger Tag
(Redewendung aus den USA)
Also, wenn sich beim nächsten Mal ein Katastrophengedanke bemerkbar macht, versucht es mal mit folgenden zwei Strategien:
Tipp 1: Stellt euch beim Auftreten eines Katastrophengedankens die Frage: Was ist realistischerweise das Schlimmste, was passieren könnte? Und was könnte ich dann tun? Bei Katastrophenvorstellungen hilft es, nicht an dem Punkt der Katastrophe gedanklich stehen zu bleiben, sondern die Situation bis zum Ende durchzuspielen, sich also zu überlegen, wie es weitergehen würde.
Tipp 2: Versucht mal, die Wörter „katastrophal“, „unerträglich“, „furchtbar“ durch Wörter wie „ unangenehm“, „sehr lästig“, „schade“, „unerwünscht“ u.ä. zu ersetzen. Die Formulierung macht einen riesengroßen Unterschied aus: Erstere deuten auf Katastrophen hin, also Situationen oder Ereignisse, wo die Möglichkeit besteht, dass wir sie nicht überleben werden. Letztere sind dagegen in den allermeisten Fällen die zutreffenderen Bezeichnungen.
Es handelt sich nämlich fast immer um lästige, unangenehme und unerwünschte Situationen, die uns zwar auch stark belasten können, aber die im wahrsten Sinne des Wortes ertragbar sind.
Wie wir gesehen haben, können wir uns mit bestimmten Denkweisen das Leben um einiges leichter machen. Das Einzige, was es dafür bedarf, ist deine klare Entscheidung dafür und Übung, Übung, Übung.
Viel Erfolg dabei!
JM